Aus Gaza

Kategorien

  • Steinerei
  • Historisch
  • Alternativ

Erscheinungsdatum

09.06.2025

5

  • am 09.06.2025 19:13

    Aafera, eine junge Palästinenserin, möchte mit ihren Freunden aus dem Gazastreifen fliehen. Als talentierte Ingenieurin ermöglicht sie die Flucht auf fantasievolle Weise. Doch als sie die Mauer überqueren, begegnen sie einer Welt, die sie nicht erwartet hatten...


    Noch während wir bei der Steinerei unsere Filme zelebrierten, griff Israel gestern ein weiteres mal humanitäre Helfer*innen an und entführte die gesamte Besatzung eines Schiffes, das einfach nur Babynahrung und Mehl in ein verhungerndes Gaza bringen wollte. Wir wollen mit unserem Film darauf Aufmerksam machen, was gerade vor unseren Augen und mit unserem Steuerngeld passiert. Möglicherweise können wir auch ein wenig Hoffnung bieten in diesen Zeiten.

  • am 10.06.2025 13:53

    Moin Seza,

    ich habe nur die Steinerei-Version gesehen und daher bezieht sich mein Text auch nur auf diese Version.

    Euer Film „Aus Gaza“ ist ein Werk im typischen Seza-Stile, technisch und stilistisch auf gewohnt hohem Niveau. Mit gefälligen Charakteren und einem aktuellen politischen Thema. Der Film hat eigentlich alles, was ich an Deinen Filmen liebe und schätze.
    Die aktuelle Lage in Gaza ist grauenvoll, die zivile Bevölkerung kämpft um ihr Überleben, gerieben zwischen der Israelischen Armee und der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Es ist wichtig und gut, auf diese Lage aufmerksam zu machen, damit es eine Waffenruhe geben und die Lage der Menschen in Gaza besser werden kann.

    Genauso wichtig ist auch, die prekäre Situation der verbliebenen israelischen Geiseln, die von der Hamas am 7. Oktober 2023 verschleppt wurden nicht aus den Augen zu verlieren. Bei diesem Terrorangriff wurden über 600 israelische Zivilisten ermordet und 250 weitere Menschen verschleppt. Dazu kommen die ständigen Raketenangriffe, denen die israelische Zivilbevölkerung ausgesetzt ist. Auch diese Seite gehört zu der aktuellen Geschichte und sollte meiner Meinung nach nicht vergessen werden, wenn es um den Traum eines dauerhaften Friedens geht.

    Trotzdem ist es meiner Meinung nach völlig ok, die Situation in Gaza aus der subjektiven Sicht palästinensischer Protagonisten zu erzählen.

    Vordergründig geht es in Eurem Film um die Menschen in Gaza, aber eigentlich geht es doch um was ganz anderes…
    Die Rollen sind klar verteilt: Palästinenser*innen sind gut, die entweder einfach nur in Frieden zuhause leben oder fliehen möchten. Israelis sind böse (Besatzer mit Bomben, Panzern und Drohnen) oder sie halten gute Palästinenser*innen dummerweise für böse Terroristen (wie können sie nur? Es sind ja alle Palästinenser*innen gut). Bemerkenswerterweise wird kein einziges Mal in Eurem Film Israel erwähnt! Könnte es sein, dass Israel in Eurer Überzeugung überhaupt nicht existiert?
    Dass Palästinenser*innen aber auch Täter (Hamas, die einen nicht gerade kleinen Anteil an der aktuellen prekären Situation in Gaza hat) sind und nicht nur Israelis sondern auch Palästinenser*innen Opfer dieser sind, und Israelis auf die Straße gehen und ein Ende dieses Krieges fordern, klammert ihr völlig aus. Die Gut-Böse-Grenze ist klar gesetzt.
    Dazu spricht Euer Film Israel das Existenzrecht ab (Das Krokodil beansprucht auch die Kanalisation hinter den Mauern (Israel), Aafera: „Das hier ist auch Palästina“).
    Israel ist das einzige Land auf unserem Planeten, in dem Jüdinnen*Juden nicht um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie Jüdinnen*Juden sind. Diesem Land das Existenzrecht abzusprechen ist meiner Meinung nach antisemitisch!
    Euer Film gaukelt vor, es ginge Euch um die Menschen in Gaza, aber eigentlich geht es um was ganz anderes: Um die Negierung Israels. Eure Protagonisten bezeichnen es als Palästina oder beanspruchen es als ihres. Dazu kommt, dass Ihr gekonnt jegliche Erwähnung Israels vermeidet (Ausnahme: O-Ton von Analena Baerbock(?), sie ist aber auch eine Unterstützerin der „Besatzer“). Was nicht ausgesprochen wird, kann ja auch nicht sein. Ganz im Sinne von BDS.
    Meiner Meinung nach ist „Aus Gaza“ nichts anderes als ein antisemitischer Propagandafilm - leider!

    Baschi

  • am 10.06.2025 15:37 , bearbeitet am 10.06.2025 15:38

    Wenn Solidarität mit einem Volk, das gerade ausgelöscht wird, so unvorstellbar ist, dass da ja definitiv eine geheime antisemitische Intention hinter dem Film sein muss! 

    Der "Genocide Song", den wir verwenden durften, ist btw eine klare israelische Perspektive, der wir viel Raum gegeben haben.

    Gut-Böse-Binaritäten sind etwas, wogegen wir uns in unseren Erzählungen klar gegenstellen. Wir erzählen keine Geschichten über Gut und Böse, sondern über Hierarchien. Es ist schade, dass du die Darstellung einer Hierarchie siehst, und sie dann als Binarität missverstehst. (false binary fallacy)

    Im Film geht es nicht um Antisemitismus, weil es in dem Genozid auch nicht um Antisemitismus geht. In dem Film wird Israel kaum erwähnt, weil in einer klaren kolonialen Situation eigentlich egal ist, wer die Besatzer sind.

    Wir erleben hier Kolonialismus und Genozid hautnah, live in 4K weltweit übertragen. Schade, dass du im Angesicht unseres Films lieber Annahmen über unsere Intentionen machst anstatt hinzuschauen.

  • am 10.06.2025 15:47

    Hallo Baschi,

    freut mich, dass der Film dir technisch gefällt.


    Wenn du glaubst, dass uns die Menschen in Palästina egal ist, dann hast du den Film denke ich nicht richtig verstanden. Wir haben uns zuvor schon über Palästina unterhalten und ich habe dir sehr klar gesagt, wie ich dazu stehe. Wie ich zu Grenzen überhaupt stehe, wie ich zu der absolut wichtigen Sicherheit jüdischen Lebens stehe. Ich finde es schade, dass das hier so miteinander ausspielst und dennoch den Film nicht zu verstehen scheinst. Der Grund und Boden, der Palästina oder Israel genannt wird, ist durch nix unterschiedlich, auch nicht, dass irgendwer vor 77 Jahren gewaltvoll eine Grenze dort gesetzt hat. Es geht hier doch nicht darum, irgendwen rauszuwerfen, ganz im Gegenteil. Fayez hat an seiner Tür einen Schlüssel hängen. Den haben viele Palästinenser*innen (ca. 70% im Gazastreifen), es ist der Schlüssel zu den Häusern, aus denen sie vertrieben wurden. Es ist vollkommen egal, wie das Land heißt, auf dem das Haus steht, aber ich finde, sie dürfen dorthin zurückkehren können. Gaza verlassen dürfen, ohne überall weiterhin nur Terrorist zu sein, zum Palästinenser gemacht zu werden (du kannst die Mauern verlassen, aber nicht palästina verlassen). Und nichts daran wird geändert dadurch, dass es in Gaza auch Hamas gibt, denn dass kollektive Bestrafung falsch ist muss ich dir hoffentlich nicht erklären. Es ist völlig absurd, in einem Laufenden Genozid jegliche Kunst über die genozidierte Bevölkerung dazu aufzufordern, dass sie auch ja die Bevölkerung des Landes darstellt, das gerade den Genozid begeht (unabhängig davon, dass wir literally einen Song aus der Protestbewegung in dem Film nutzen).


    Du versuchst, eine "Gleichzeitigkeit" zu kreieren, schön alle Opfer aller Seiten zu benennen, und ich verstehe das. Klar gibt es den 7.10., klar gibt es noch Geiseln in Gaza, klar müssen die frei kommen. Wenn wir sagen, "wir danken den Menschen in Gaza, die tapfer überleben", sind die doch nicht ausgeschlossen davon. Aber du wirfst uns durch unseren Fokus des Films vor, wir würden so viel auslassen, merkst du denn, was du selber dabei auslässt? Dass es tausende (um die 9000) palästinensische Verschleppte in israelischen Gefängnissen gibt, dokumentiert von israelischen Hilfsorganisationen, oft einfach von der Straße aufgegabelt und ca die Hälfte davon ohne Gerichtsverhandlung? Dass Millionen von Menschen in den letzten Jahrzehnten vertrieben wurden, in Flüchtlingslagern leben, ihnen das Rückkehrrecht verwehrt wird? Die hunderten Ermordungen in der West Bank jährlich? Was du tust, ist ein hirarchisches Verhältniss zu negieren. Dadurch, dass es Opfer auf beiden Seiten gibt, könnte und dürfte man nicht davon sprechen, dass momentan eine Seite nunmal den Genozid in Gaza begeht. Diesen Genozid, der von der Israelischen Regierung verkündet, befohlen und vom IDF ausgeübt wird, als ein "kämpft um ihr Überleben, gerieben zwischen der Israelischen Armee und der palästinensischen Terrororganisation Hamas" zu bezeichnen, ist ultra relativierend. Ein genau gleiches Verhältnis aufzubauen, wenn die Realität sehr ungleich ist, ist relativierend.


    Wenn du Besatzung und die Existenz von Besatzern in dem Gebiet infrage stellst. Die koloniale Geschichte und das Rückkehrrecht vertriebener Leute negierst. Wenn du einen Film literally über die Facetten und Schwierigkeiten des Lebens unter momentan wohl schwierigsten Bedingungen siehst, und versuchst es dir irgendwie zu drehen, wir hätten es eigentlich auf Antisemitismus abggesehen, dann klingt das für mich eigentlich eher so, dass du einfach trotz deinem "das ist ja alles schrecklich" grundsätzlich nichts gegen Kolonialismus und Genozid hast, wenn er in Israel geschieht.

  • am 10.06.2025 21:55 , bearbeitet am 10.06.2025 21:56

    Brickstorming schrieb:
    „Wenn Solidarität mit einem Volk, das gerade ausgelöscht wird, so unvorstellbar ist, dass da ja definitiv eine geheime antisemitische Intention hinter dem Film sein muss!“

    Was soll diese Polemik? Das habe ich nicht geschrieben oder behauptet. Solidarität mit dem palästinensischen Volk ist wichtig und richtig und Eurem Film würde ich das auch abnehmen. Aber das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, wird von vielen Jüdinnen*Juden nun mal als Antijüdisch wahrgenommen, unabhängig davon, ob sie in Israel leben oder nicht. Protagonisten aus Eurem Film machen genau das, sie stellen das Existenzrecht Israels in Frage und zwar so nebenbei.


    Brickstorming schrieb:
    „Der "Genocide Song", den wir verwenden durften, ist btw eine klare israelische Perspektive, der wir viel Raum gegeben haben.“

    Das der Musiker aus Israel ist, wurde aus dem Film nicht ersichtlich! Ich hätte eher auf jemanden aus Deutschland getippt, passend zu den Zitaten deutscher Politiker*innen.


    Brickstorming schrieb:
    „Gut-Böse-Binaritäten sind etwas, wogegen wir uns in unseren Erzählungen klar gegenstellen. Wir erzählen keine Geschichten über Gut und Böse, sondern über Hierarchien. Es ist schade, dass du die Darstellung einer Hierarchie siehst, und sie dann als Binarität missverstehst. (false binary fallacy)“

    Vielleicht klärst Du mich ja auf. Ich sehe da kein klares Gegenstellen gegen Gut-Böse-Binaritäten.


    Brickstorming schrieb:
    „Im Film geht es nicht um Antisemitismus, weil es in dem Genozid auch nicht um Antisemitismus geht.“

    Nein, in diesem Genozid geht es nicht um Antisemitismus. Das bedeutet aber nicht, dass Aussagen, die im Film getätigt werden, nicht antisemitisch sind.


    Brickstorming schrieb:
    „In dem Film wird Israel kaum erwähnt, weil in einer klaren kolonialen Situation eigentlich egal ist, wer die Besatzer sind.“

    Was ist die koloniale Situation und was wird besetzt?


    Brickstorming schrieb:
    „Wir erleben hier Kolonialismus und Genozid hautnah, live in 4K weltweit übertragen. Schade, dass du im Angesicht unseres Films lieber Annahmen über unsere Intentionen machst anstatt hinzuschauen.“

    Wie kommst Du darauf, dass ich nicht hinschaue? Wenn ich das nicht machen würde, würde mir Euer Film am Arsch vorbei gehen. Ich schreibe hier über die Intensionen Eures Films weil es hier um Euren Brickfilm geht und wir hier auf dem Brickboard sind. Ich schreibe, wie ich Euren Film aufgenommen habe.

    Und bevor Du mir Kaltherzigkeit vorwirfst, folgendes:
    Mir geht es seit dem 7. Oktober 2023 echt nicht gut. Ich habe das Lachen eingestellt (Im wahrsten Sinne). Mir war schon damals klar, was folgen wird, dass die israelische rechtsextreme Regierung genau so handeln wird, wie sie es macht. Das, was in Gaza passiert, ist ein Verbrechen und es muss sofort beendet werden! Ich fühle so sehr mit den Menschen dort. Trotzdem würde ich niemals auf die Idee kommen, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen!

  • am 10.06.2025 22:08

    Was mir an dem Film besonders gut gefällt ist, dass hier eine Menge Fremdmaterialien verwendet werden (Textilien, Watte, die Mauern aus Stein etc.)
    Und die Animation ist gewohnt von hoher Qualität.
    Mir ist aufgefallen, dass dieses Mal weniger stark der Fokus auf grandiose Kamerafahrten gelegt wurde. Bisweilen habe ich das Gefühl, dass du eine ganz besondere Affinität zu besonderen Transportmitteln hast (Hier dieses tolle Brumm Brumm, dein Zeitenschiff, diverse Flugzeuge aus vorherigen Steinereifilmen, ein Floß in Butter bei den Fischen) irgendwie assoziiere ich deine Filme mit so etwas. Kann es sein, dass es ein inspiratorischer Nachhall des FliwaTüüt ist?
    Traurig fand ich die Stelle, als Tim das Krokodil vom Flugzeug abstürzt. 
    Das Ende fand ich zugegebenerweise etwas merkwürdig.
    Die Protagonisten opfern so viel Mühe, Ressourcen, und sogar einen wichtigen Freund um ihr Ziel zu erreichen, doch dann drehen sie wieder um, als ob es nichts bedeutet hätte. Es klingt ein wenig so, als ob der Film am Ende ein Martyrium guthieße.
    Die Musikwahl fand ich sehr gelungen.
    Zu dem Überthema habe ich zwar eine persönliche Meinung, für eine öffentliche Debatte allerdings zu wenig Wissen, als dass ich eine gezielte Aussage machen könnte.
    Ich beschränke mich hier auf das Filmische und das ist gelungen!

  • am 11.06.2025 12:59

    @AoW-Gamer vielen Dank für den ausführichen Kommentar und deine Gedanken

    Ist mir im Nachhinein auch aufgefallen, dass weniger Kamerafahrten drin sind. Hab umso mehr Lust jetzt, wieder welche zu machen :D Das mit den Transportmitteln ist mir noch gar nicht so aufgefallen, ergibt aber sehr Sinn :o Wird sich glaube ich auch weiter fortführen ^^ Und kann seehr gut sein, dass das FliwaTüüt da auch mitmischt gedanklich :D

    Mit dem Ende sehe ich, was du meinst. Ich habe das Gefühl, dass die Charaktere eher Erkenntnisse gewinnen anstelle eines materiellen Zieles, und dann zurück gehen um Community-Work zu machen. Ist aber wirklich etwas unklar, vielleicht lässt sich das noch ausbauen! Danke dir auf jeden Fall


  • am 13.06.2025 18:07 , bearbeitet am 13.06.2025 18:10

    Über die formalen Aspekte wurde, glaube ich, alles Wesentliche gesagt, und es besteht kaum ein Zweifel, dass der Film cineastisch grandios ist und seinen Preis für die besten Kulissen völlig zu Recht bekommen hat.

    Zum Inhaltlichen will ich zunächst den Film selbst in den Blick nehmen und danach ein paar Worte zur allgemein politischen Diskussion verlieren.

    Positiv finde ich, dass der Film sich in vielen Aspekten einer allzu pathetischen und militanten Lesart entzieht. Es geht nicht um ein "kämpfendes Volk", sondern um Individuen, die frei sein wollen. Trotz einer Bemühung um Authentizität, wie sie etwa durch die Verwendung echten Sandes und Stoffes erreicht wird, ist der Film nicht "naturalistisch" (was bei Brickfilmen ohnehin nahezu unmöglich sein dürfte) und das sprechende Krokodil, die Weihnachtsmänner in den Straßen, sowie das selbstgebaute Flugzeug, das die Mauern durchbricht geben dem Ganzen einen, wenn nicht märchenhaften, so doch fantastischen Touch - oder handelt es sich vielleicht sogar um eine Variante des Brechtschen Verfremdungseffekts?

    Hier jedoch setzt dann auch meine Kritik ein. Der Vater/Opa sagt: "Nicht ich soll frei sein, sondern Palästina.", kritisiert die Kinder in der längeren Fassung zudem dafür, dass sie fliehen, um etwas zu essen zu bekommen. Die Figur vertritt damit eine zutiefst reaktionäre, völkisch-kollektivistische Ideologie, die sich in der Formel zusammenfassen lässt: "Du bist nichts, dein Volk ist alles!" JedeR KommunistIn sollte, nein muss so etwas ablehnen, soll er/sie nicht die Intention des Kommunistischen Manifests hinter sich lassen, wonach die angestrebte freie Assoziation ein Zustand sein solle, "worin die freie Entwicklung EINES JEDEN die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (MEW, Bd. 4, S. 482) Nun kann man natürlich mit Seza sagen, das sei halt die Auffassung DER FIGUR, die sich somit natürlich auch kritisieren lässt. Jedoch legt das Ende des Films den Schluss nahe, dass die Kinder letztlich doch die Haltung ihres Vaters/Opas übernehmen, also "gelernt" hätten, dass er von Anfang an im Recht war. Hier bin ich ganz bei Hans. Und es ist garantiert kein Zufall, dass in palästinasolidarischen Gruppe - etwa den "Students4Palestine Bonn" - regelmäßig und völlig unironisch von "martyrs" gesprochen wird. Eine gewisse Geringschätzung für menschliches Leben als SELBSTZWECK, sowohl für das eigene, als auch das Anderer, ist diesem Wort in allen seinen Facetten immanent.

    Und zuletzt zu dem Punkt: wie ist es mit Israel und dem Antisemitismus? In der Tat: bei VIELEN Palästinaaktivisten impliziert die Forderung "From the river to the sea" eine Verneinung Israels als eines dezidiert JÜDISCHEN Staates. VOR der Shoah konnte man sicherlich legitim darüber streiten, ob eine Bekämpfung des eliminatorischen Antisemitismus OHNE eigene jüdische bewaffnete Staatsmacht ein gangbarer Weg wäre; danach ist diese Option m.E. erst einmal vom Tisch. "Die Waffe der Kritik kann nicht die Kritik der Waffen ersetzen", wie es beim jungen Marx heißt. Daraus folgen natürlich die Probleme, die jeder bürgerlich-liberale Staat mit sich bringt: die Möglichkeit, mitunter gar der politische Wille, reaktionäre bis faschistische Politiker ins Amt zu hieven, um die Interessen des nationalen Kapitals zu sichern. Daher würde ich eine breite SÄKULARE palästinensische Bewegung, in der Islamisten und Antisemiten nicht einmal als zeitweilige Bündnispartner geduldet würden, jederzeit begrüßen. Kürzlich demonstrierte die Bevölkerung Gazas massenweise gegen die Hamas und es interessierte die hiesige Solibewegung - gar nicht. Das deutet nicht zwingend auf Antisemitismus hin, wohl aber auf eine starke Einschränkung des eigenen Horizonts. Die Aussage: "Das hier ist auch Palästina" lässt sich somit durchaus so deuten, als ob das Wichtigste nun sei, dass Israel als jüdischer Staat verschwinden soll.

    AAAAABER: soweit ich euch oben verstanden habe, meintet ihr das dezidiert NICHT so. Und da der Film sich auf die Perspektive einzelner Menschen, ihre Hoffnungen und Sehnsüchte konzentriert und das Leiden, das Negative, zu Beendende, nicht eine vermeintliche Heilsperspektive in den Blick nimmt, kann ich Baschis Verdikt, wonach der Film "nichts anderes" sei, "als ein antisemitischer Propagandafilm" ganz und gar nicht zustimmen - dies ist dann doch der Polemik zu viel.

  • am 13.06.2025 19:11 , bearbeitet am 14.06.2025 14:27

    @BelaRussland

    Danke für deinen Kommentar und deine Gedanken! Ich finde einiges sehr interessant, mit einigem stimme ich persönlich nicht so überein, mit anderem schon. Ich würde vielleicht nochmal auf einige Gedanken eingehen:


    In Bezug auf Fayez, oder viel mehr dem, was Aafera und Dhukaa am Ende machen. Wie du schon sagst, gibt es hier erst einmal einen Dialog zwischen praktisch drei Positionen: Fayez, Aafera und Tim. Ich glaube, die letztendliche Entscheidung Aaferas, würde ich aber anders lesen, auch bezogen auf Kommunismus und so :D Für mich geht es an der Stelle nicht um einen nationalistischen Gedanken eines Volkes, sondern um einen indigenen Gedanken von Besatzung. Die Situation für die Charaktere ist, dass alle Menschen um sie herum, ihre Freund*innen, Familie etc, unter Besatzung und im Falle Gaza nun im Genozid leben. Was das zu "Palästina" macht, ist somit nicht ein "traditioneller" Nationalitäts-Gedanke, sondern die gemeinsame Situation unter diesen Bedingungen. Es geht hier ja auch nicht darum, dass Aafera, oder selbst Fayez, erwarten, dass alle um sie herum es ihnen gleich tun, ihre Handlungen sind aber ihre Entscheidung. Ich würde persönlich sagen, dass meine Entscheidung als Kommunistin ist, Aktivismus zu betreiben. Im Kapitalismus ist Freiheit eines jeden Menschen nicht möglich, und so werde ich meine persönlichen Privilegien, die auf meinen materiellen Umständen beruhen, nicht nur für mich selber nutzen, sondern in Solidarität mit meinen Mitmenschen teilen. So würde ich auch die Handlung von Aafera beschreiben. Gleichzeitig ist es ja auch reaktionär, für Menschen in Gaza als einzige Auslebung von Freiheit zu sehen, dass sie bei der erstbesten Möglichkeit fliehen (und das Land, mit dem für sie eine Verbindung aus Indigenität besteht, zu verlassen, zu Flüchtlingen zu werden etc.).


    Ich glaube, ich verstehe dadurch auch nicht ganz, wo ihr in der Situation Aaferas ein Märtyrertum seht. Ihre Entscheidung ist nicht, "um des Bekenntnisses/ihres Glaubens willen zu leiden oder dafür den Tod zu erdulden". Wo du die Deutsche pro-palästinensische Bewegung ansprichst, ich glaube dort ist Märtyrertum auch eher in Referenz arabischer Formulierungen gemeint, dass Menschen eben "im Rahmen einer Unterdrückungssituation" sterben bzw "von einem Unterdrücker" getötet werden. Ich nehme es, von solchen Akteuren verwendet, also eher als Analysekategorie wahr, ebenso wie den Begriff Palästina. Aber auch das trifft glaube ich nicht auf Aafera zu, bzw wird nicht glorifiziert. Ihre Entscheidung ist wie ich es lese die, Solidarität zu zeigen mit ihren Mitmenschen.


    Über die weitere Situation, mögliche Lösungen und Perspektiven haben wir glaube ich schonmal ein wenig gesprochen, bzw können wir vielleicht irgendwann mal wieder sprechen. Danke auf jeden Fall für deine Perspektive auf den Film und deine Gedanken! Bin gespannt, ob meine weiteren Gedanken für dich Sinn ergeben oder weitere Fragen aufwerfen


    Edit: Will aber nochmal klar sagen, dass es keine Rechtfertigung für Ethnische Säuberung gibt, keine Rechtfertigung für Genozid und keine Rechtfertigung für Kolonialismus. Ein Ethnostaat kann nirgends die Lösung sein, erst recht nicht, wenn ein riesiger Teil der ebenfalls dort lebenden Bevölkerung dadurch benachteiligt wird. Wer sagt, dass irgendetwas davon nicht zu vermeiden wäre, um z.B. Antisemitismus zu bekämpfen, nutzt Antisemitismus meiner Meinung nach als Vorwand für Verbrechen, die auch dadurch nicht zu rechtfertigen sind. Mir geht es hier gerade nicht über generelles Existenzrecht oder whatever, mir geht es darum, dass hier nicht reale Verbrechen an realen Menschen verwischt werden.